
Wenn wir über psychische Gesundheit reden, geschehen oftmals Individualisierungen, während strukturelle Verflechtungen dieser Erfahrungen außer Acht gelassen werden.
Wenn ich versuche über schmerzhafte Erfahrungen zu sprechen, entsteht oft ein Vakuum.
In diesem Vakuum findet meine Foto- und Zeichenserie statt und in diesem Vakuum teilen andere FLINT*AQ mir auch ihre jeweiligen Erfahrungen.
Das Vakuum bringt mich auch näher an das, was eigentlich ist, bringt mich den Gefühlen näher, die nicht vermittelt werden können, die unangenehm und schambehaftet sind (werden) und sie bringt mich auch den strukturellen Verflechtungen meiner Erfahrungen ein großes Stück näher. Als FLINT*AQ sind wir seit unserer Kindheit einer strukturellen patriarchalen Gewalt ausgesetzt, gegen die wir uns selbst verteidigen müssen. Darüber sprechen sollen wir nicht (lernen). Wir müssen es aber (kollektiv).
Ein Beitrag von vall_ende.
Content Note
Die folgende Foto- und Zeichenserie und Arbeit enthält explizite Gewaltbeschreibungen, zudem Thematisierungen von Tod und Suizid, Depression, Nacktheit, Vergewaltigung, Gewalt an Kindern.

I: Sie versuchten die obersten Hautschichten ihrer Körper so stark zu waschen und anzufassen, dass sie hoffentlich einfach abfielen und im Abfluss hinuntergleiten. Die Haut brannte unentwegt. Ein vergeblicher Wunsch des Vergessens und des Auflösens und so wie vor diesem Morgen, sollten sie sich nie wieder fühlen. Tränen und das Wasser vermengten sich zu einer Salzbrühe und die Gedanken kreisten als wären sie ein unaufhörlicher Sog aus Scham und Selbsthass und auch sie glitten geschmeidig hinunter in den Abfluss. Die Flüssigkeiten liefen aus, die Gedanken flossen im Inneren wie ein infektiöses Serum und vergifteten jedes vertraute Gefühl und jeden Teil des Körpers und der fragilen Identitäten.
(Frühjahr 2016)

II: Eine* von ihnen wachte schweißgebadet auf, während die* andere* im Traum über den Morgen versunken blieb und die* dritte* nach Luft schnappte, während die Lungenflügel dem Druck zu entkommen versuchten, mit dem die Rippen sie gefangen hielten. Kein klares Bewusstsein schürte die Tränen, die auf das ungewaschene Kissen liefen. Es war als sei die Distanzierungsfähigkeit von einem zähen Nebel verborgen.
(Herbst 2016)



„Und ich erzählte ihr immer die leichte Version der Erfahrungen. Diese, die für alle und für die Gesellschaft nachvollziehbar ist. Die Geschichte, die nicht alle vollends verwirrt und die, die ich selbst auch nun zu glauben begann. Ich, eine ganze Person, mit einer Empfindung und einer Identität und nur einem Gefühl in dem Moment, nämlich Unbehagen, habe die eine unsagbare Erfahrung einer ______________ erlebt. Zeit weiterzumachen und weiterzugehen…
„Ja, also es war Wein da, dann ist es eskaliert. Ich glaube ich war die schwächste Stelle in einer zusammenfallenden Konstellation. Ich gebe mir nicht die Schuld, aber…“
„Nein, das ist auch sehr sinnvoll, dass Sie sich nicht die Schuld geben.“
„Genau. Ich habe auch schon viel darüber geredet. Mit Freundinnen und Freunden. Das hilft eigentlich immer sehr. Ich denke ich habe da schon Fortschritte gemacht und kann mittlerweile damit leben.“
„Mhm“ sagt sie, nickt und schaut mich dann wieder an. Die Ruhe, die ihr Körper ausstrahlt, kotzt mich an. Ich will mich übergeben.“
(Frühjahr 2018)

V: -Scheiße nein! Da hilft überhaupt nichts, brüllt mein einer Teil, während der andere sagt dass ich ja aber noch nicht tot bin und der dritte sagt, dass es ja nicht ausschließlich schlimm war.
„Immerhin läuft es jetzt Zuhause gut und ich fühle mich wohl, das ist doch die Hauptsache“ sage ich, als müsste ich mich selbst vergewissern.
„Das stimmt, es ist wichtig, dass Sie sich wohlfühlen in ihrer engsten Umgebung. Sie haben mal erwähnt, dass sie oft nicht besonders lebensbejahende Gedanken haben, wie steht es denn um die?“ sagt sie.
Ich versinke erneut in Gedanken darüber was ich sagen will, sollte, kann. „Das ist richtig, ich denke die habe ich mittlerweile im Griff. Also, es ist immer noch nicht wieder wie vor zwei Jahren, aber es ist in Ordnung. Ich denke zumindest nicht jeden Tag über den Tod nach, aber es kommt schon immer mal durch.“
„Ja, sowas dauert einfach seine Zeit und man erholt sich davon nicht so schnell.“
„Aber was ist, wenn es immer so bleibt? Was ist, wenn ich nie mehr diejenige* von vorher werde?“
„Ich denke das ist normal, dass man[sic!] sich verändert.“
„Und ich denke, dass ich eventuell einfach nun so bin. Aber es ist so schmerzhaft, so zu sein. Ich will diese Person nicht sein.“
So viel Respekt und Akzeptanz für mich selbst. Was sie wohl Beschwichtigendes dazu sagen wird? Und..
„Ja, es ist auch sehr wichtig, dass sie sich selbst anerkennen und akzeptieren. Tun sie sich was Gutes, entspannen sie genug. Sie machen so tolle Dinge und sind so kreativ, was für ein Geschenk!“
-Natürlich, für den Fall, dass ich nicht gerade Selbstdestruktion und -hass betreibe und mich von der hässlichen grauen und lauten Autobahnbrücke stürzen will, dann, ja dann mache ich Dinge, die ich sowieso schon kann und entspanne mich weil ich sie kann. Und wenn Ich Dinge nicht kann, bröckelt jedes einzelne Mal ein bisschen mehr meines Selbstwerts ab und fällt in den Fluss, der außer dem Tod rein gar nichts bringt.
„Ja Sie haben Recht, das sollte ich tun“ sage ich und schaue auf die Uhr und hoffe Sie beendet die Stunde.
„Gut, das wäre es dann auch schon für heute, wir sehen uns nächste Woche“ sagt Sie zu meiner Erleichterung. Ich hatte so Angst, ich würde womöglich am Ende die ganze Wahrheit sagen, darüber was ich fühle. „Ja, vielen Dank und einen schönen Tag, bis nächste Woche!“ sage ich, bereits auf der fünften Treppenstufe im Sprint, und gedanklich drei Straßen weiter, am Uhrenladen weit vorbei, um der Situation zu entfliehen. Ein Schritt weiter und ich stolpere über meine Lügen.
Sommer 2018
„Ich habe Schamhaare. Es wird erwähnt. Ich glaube ich bin 12. Ich weine, ich laufe weg. Ich weiß nicht warum. Es ist die einzige Erinnerung an diesen Urlaub. Die prominenteste. Begleitet von einem Gefühl der Bedrohung und Verdrängung. Manchmal dissoziiere ich beim Sex.“ [2021]
„Ich habe Schamhaare. Es wird erwähnt. Ich glaube ich bin 12. Ich weine, ich laufe weg. Ich weiß nicht warum. Es ist die einzige Erinnerung an diesen Urlaub. Die prominenteste. Begleitet von einem Gefühl der Bedrohung und Verdrängung. Manchmal dissoziiere ich beim Sex.“ (2021)







„Sein/Ihr Übergriff zentriert mein Verlangen (zu sterben). Ich begebe mich in Widerstand, schlafe ein und denke an den Morgen.“
[Sommer 2021]




